Attische Stille
„Zieh dich an, Strichelmann. Klirrst
im Wind. Nun bist eine Pelzjacke,
formlos, mit unentschiedenem Herz. Ein
Unvorgesehenes in der
porzellanen Zeitlosigkeit bist.“
Nach Zeilen, die auf diese Weise ertönen, gibt es kein Räuspern, kaum ein Hüsteln mehr: Wie nach einem Zug aus meinen blauen Gauloises die Lungen eines irritierten, an das Verpaffen von Oberflächlichem gewohnten Leichtverselesers melden sich hier mit eruptiv hervorbrechendem Reizhusten.
Jahre nach dem ersten Band liegt mir Demiorg Kefalalgis‘ zweiter Gedichtband – „Stillenseminar für Fortgeschrittene“ – vor. Die sorgfältige Übersetzung stammt von Jörg Plesnier, der bereits die Übertragung des ersten Bandes besorgte; erschienen ist das bibliophil gebundene Bändchen (48 Seiten) im kleinen, auf die Lyrik des europäischen Südens spezialisierten, Sämann-Verlag. Mancher Kritiker, erfahren und fachgeadelt, behauptet: Der authentische Wert eines Dichters, geeicht und adjustiert, wird erst mit der Vorstellung seines zweiten Bandes erkennbar. Eine erste Sammlung zusammenzuschreiben soll nicht mehr sein als eine Daunenarbeit, hopfenleicht – der Stein der Reifeprüfung bleibt alleweil die zweite.
Die Prüfung ist bestanden. Die Konsolidierung von Kefalalgis‘ schattigen Worten, wie ich sie aus der ersten Sammlung kenne, hat hier, in diesem „Stillenseminar für Fortgeschrittene“ stattgefunden. Es sind nicht nur die knappen Bilder, die er hinwirft. Die Bilder, die dem Umfeld seiner Worte entwachsen. Es ist die Repetition von Befremdendem, von Verwirrendem, die Formulierung von Unverbrauchtem, und das quasi ohne Stimmaufwand.
Das Verhalten des Dichters in der Welt bestimmt sein Schreiben. Dieses Schreiben wiederum dokumentiert – anders als der Historiker – seine Zeit. Kefalalgis‘ „Stillenseminar“ wird nicht durchgeführt, um das Stillehalten zu erlernen, die devote Anpassung
„... in meinem Nacken
sitzt schalstrickend die
Geduld, den Hals schnürt sie
langsam zu, spielt mit mir ...“
– im Gegenteil, auch Kefalalgis spricht dem Sandsein im Getriebe das Wort, schreibt an gegen Nationalismus, gegen Rassismus, gegen all die degoutanten menschlichen Regungen, die in rechten Volksparteien sich mehren, und die man zusammengefasst Faschismus nennt. Zwar ist er (1946) auf der zerrissenen Insel Zypern geboren, verwirft aber – dies ist aus seinen Zeilen klar herauszulesen – jeden Irredentismus. Kefalalgis kennt folgerichtig keine Landesgrenzen; Worte, pathetisch, wie „mein Land“ oder „mein Zypern“ würden ihm nie einfallen. Kefalalgis ist Weltbürger:
„Heimat
kenne ich nicht. Hie
und da eine Freundin, ein
Tisch im Kafeneion, eine
Wortstätte, ein Absatz.“
Davor und darüber (oder darunter?) gibt es nur großmäulig platzende (Sprech)Blasen, in Nichtigkeit ausfransende Nebelflecken, d. h. – mit den partout traurig sein wollenden Augen des Dichters gesehen – nur die eitle Sinnlosigkeit der Natur, aller Anstrengung, aller Existenz. Über den Gegenständen von Kefalalgis in Worte gefasster Welt, allen, liegt eine leise Schicht von Bitterkeit, nur gerade – was nicht erstaunt – in den Nachtseiten-Zeilen seiner Gedichte findet sich so was wie gelassene, ja, eine fast grotesk-heitere Distanzwahrung. Manche dieser Zeilen sind Irrblöcke im niedlich fließenden Wohllaut heutiger abendländischer Poesie – die lyrischen Lektionen in Anatomie mit gemeint. Manche dieser Zeilen (man mag an Surrealismus denken) zwingen den Fluss zum Stau:
„Das rote Tuch weht
nicht. Die Spinne voran. Leiser
Regen fällt. Darüber, im
kahlgeschorenen Himmel, die Fliege, die
schwarze, wirbelt. Ein Tanz
im nieselnden Dunkel. Das Tuch,
das rote, ist Skelett.“
Kefalalgis‘ Leben ist ein vermintes Leben. Geprägt von seiner Zeit – eine Binsenwahrheit. Sein Schreiben dokumentiert diese Zeit – auf seine Weise:
„... zählt nur dieses
Wort. Denn Leben zählt
nicht und der Tod ist ohne
Bedeutung. Der liberale Geist
motiviert mit dem Panzergeschoss. Aus
dieser Brandung schreckt die Frontseite
der Tageszeitung, der Popenkranz kniet
vor Mord. Wenn Leben
nicht zählt und nicht Tod: gemordeter
Brüche gemeinsamer Nenner
bleibt mein Wort. Es zählt
nur dieses Wort.“