Zürichhorn


aus einer Kritik von Rainer Stöckli*:
Peter Handke und C. L. Sandor"... Handkes Notate haften mir im Gedächtnis, weil sie unter einem biografisch unschwer zu begreifenden Titel erschienen sind: 'Am Felsfenster, morgens'. Gewiss lässt sich der Titel mit Sinn und Hintersinn beschweren (...) gewiss lassen sich ans Felsfenster Fragen richten – zum Beispiel nach dem Hinaus oder nach dem Hinein des Blickes, nach dem Ausschnitt, den der Fensterrahmen gewährt, solange der, der schaut, nicht 'unters Fenster' tritt, sondern im Abstand verharrt (...) Aber das eher zutage liegende Verständnis des Titels wird sein, 'Felsfenster' topografisch, als Situierung in der Zeit, zu begreifen. Da und Dann – am Fenster zum Felsen hin und jeweils zu Beginn des Tages – sind die Sätze gedacht, sind die Notate genommen worden. – Diese vordergründige Situierung nach Ort und Zeit, nicht weniger scharf auf den Punkt gebracht, und an den Morgen geknüpft, verwenden auch C. L. Sandors Gedichte, ein Gedichtzyklus über das so genannte Zürichhorn (...) Auswahl nicht anders als Handke sie getroffen hat: Lebenszeit und Fenster-Ausblick, Aug und Ohr und Hand und Herz beansprucht, aber der Geist – Handkes 'Muskel Geist' – zur Reflexion frei (...) Die Textarbeit hat sich aufs Prägnantmachen verkürzt. Zusammenhänge sind weder gegeben noch geschuldet, manches Urteil ist nicht überprüfbar, mancher Eindruck von Ein-, Zwei-, Dreizeilenlängen erschöpft sich in der Poetizität der Sprachform. –

Das ist bei C. L. Sandor anders. Unter den Datierungen stehen Gedichte. Ohne weitere Form als den bedeutungsvollen, lesenverlangsamenden Zeilenbruch. Verse von Glanz und Dichte, ein riskantes Vokabular, ein verblüffender Bilderreichtum. Wieder einmal passiert es (gelingt es), dass Gedicht-Wörter schrecken. Weil, obschon das Thema ganz und gar nicht reißerisch und vom Fleck des Buchuntertitels weg bekannt ist – weil dennoch kein Eindruck zum voraus erwartbar und weil kaum eine Formel vorgebraucht, also verbraucht ist. Wortwörtlich Verdichtungen eines Mannes, dem Beobachtung (außen) und Einfälle (Weltkenntnis), Innenleben, Gedächtnis, Kunst- und Literaturwissen zum 'Lyrischen Stück' gerinnen (...) Die Texte, gerne zweistrophig, muten wie Mosaike an. Ihre Besonderheit sind die rechtsseitig beigestellten Stenogramme; ich möchte sie 'Schrumpfformen' der 'Lyrischen Stücke' nennen. Sie sind gewonnen aus den schon dichten Sach- und Bildteppichen, indem der Autor einzelne Vokabeln aus seinen Versen zitiert und grammatisch zur Stimmigkeit bringt (...) Ich bewundere diese Erfindung Sandors. Sie veranlasst den Leser, ein Gedicht dreifach zur Kenntnis zu nehmen: den geballten Haupttext, das provokante Exzerpt, den gesamten Text je Datum mit der Spannung zwischen der elaborierten und der reduzierten Mitteilung (...) Dass Sandors 'Lyrische Stücke' auch ohne Exzerpt vorkommen; dass, nochmalige Variante, neben dem Haupttext eigene, selbständige Schrumpftexte vorkommen und bestehen, lehrt vergleichende, genauer verweilende Lektüre. Sich einzulassen lohnt jedenfalls ..."

*"Rainer Stöckli – einer der besten Kenner der deutschsprachigen Lyrik" (Edition Iseli)

Die also mit allen SeeWassern gezeichneten Gedichtzeilen finden sich, außer in Antiquariaten, auch auf dem Schwemmholzweg: Hier.

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